Gedanken

Und was war mit Libyen?

Zeitungen | Foto: Martin Krauß

Am Morgen des 11. März konfrontierten uns die TV-Sender und Online-Nachrichtenportale mit den zum Teil apokalyptisch anmutenden Bildern von der Katastrophe in Japan. Auf N24 und n-tv haben die Zuschauer das Gefühl live dabei zu sein. Ein perverses Gefühl, durch dieses Fenster – mit dem Namen Fernsehen – am Unglück des hochentwickelten und technisierten Landes mal hautnah, mal aus der Vogelperspektive dabei zu sein. Zwar versuchten die Redakteure und Journalisten der Nachrichtenkanäle das Geschehen zu kommentieren, oder einzuordnen – die eigene Ratlosigkeit konnten sie jedoch nicht vollkommen verbergen.

Ich will nicht verleugnen, dass es ein legitimes Interesse gibt und vielleicht auch einer Notwendigkeit entspricht, dass Journalisten hier ihren Job tun. Doch die gesendeten Bilder hatten und haben noch immer eine wesentlich eingängigere Wirkung auf die Zuschauer, wenn sie unkommentiert stehen gelassen werden.  Das beweist auch das wachsende Gefühl des Unbehagens bei der Betrachtung der Ausgaben von Spiegel und Stern, sowie der am Mittwoch (16.03.11) dieser Woche neuaufgelegten und ergänzten Ausgabe des Focus. Die Redaktionen von Stern und Focus geben darin den Bildern der Katastrophe viel Raum. Es ist ein Raum in dem sie ihre volle Wirkung entfalten können.

Die Nachrichtenwelt wurde von diesen Ereignissen beherrscht. Japan avancierte zum Topthema dieser Tage. Noch sieben Tage nach dem Unglück zeigen die TV-Sender Sondersendungen zum Geschehen in Asien. Eine verständliche Handlungsweise im Hinblick auf die ungewisse Lage im japanischen Atomkraftwerk Fukushima. Was passierte aber währenddessen im zweiten aktuellen Krisenherd?

Was war los in und um Libyen? Dass die Wochenmagazine STERN, FOCUS und DER SPIEGEL über tagesaktuelle Entwicklungen in dem arabischen Land nicht viel sagen können, ist verständlich. Es sind Wochenmagazine, deren Aufgabe es ist Hintergrundinformationen zu den Entwicklungen zu liefern. Doch auch viele Tageszeitungen konzentrierten sich in ihrer Berichterstattung auf die Japan-Katastrophe.

Und der Rundfunk? Libyen tauchte in den Mainstreamsendern häufig nur als Randnotiz auf. Sicher, im Deutschlandradio oder Informationssendern wie „hr-info“, gab es Berichte. Aber mal ehrlich, wie viele Deutsche können dort tatsächlich erreicht werden? Und im Fernsehen, wie sah es dort aus?

Dazu fiel mir vor allem Folgendes ein: „Aus den Augen aus dem Sinn!“ Das mag überspitzt formuliert wirken, aber es hat etwas Wahres. In unzähligen Sondersendungen wurden wir über jedes kleinste Detail aus Japan auf dem Laufenden gehalten und haben so viele Experten zu Gesicht bekommen, dass Deutschland ein Land voller Experten zu sein scheint. Was in Libyen passierte und was die Wende im UN-Sicherheitsrat betrifft, so wurde der Nachrichtenkonsument am Ende dieser Woche etwas überrascht: Ach ja, Libyen gibt es ja auch noch.

Denn so wirklich rückte Libyen erst mit der Zustimmung des UN-Sicherheitsrates zu einer Flugverbotszone und den Luftangriffen der Amerikaner und Franzosen wieder in das Raster der vorherrschenden medialen Berichterstattung.

Wäre es nicht gerade in Zeiten der Tsunami- und Atomkatastrophe, sowie des Atom-Moratoriums der schwarz-gelben Bundesregierung die Aufgabe von Journalisten und Medienmacher aufzuschreien und zu erklären: HALT! STOPP! Sicher, es besteht in der Bevölkerung ein Bedürfnis über die Ereignisse in Japan informiert zu werden, aber in Libyen bahnt sich ein Krieg an, dessen Ausgang ungewiss ist. Dort wird eklatant gegen Menschenrechte verstoßen.

Wäre nicht genau das die Aufgabe gewesen? Ist es nicht Aufgabe von Journalisten, sich gegen den Mainstream zu stellen, Missstände aufzudecken und über relevante Entwicklungen zu berichten? Und mir kann kein Journalist an dieser Stelle erklären, dass die Ereignisse in Libyen nicht relevant genug gegenüber den Ereignissen in Japan seien. Denn seit der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates konzentriert sich die Berichterstattung wieder auf das ans Mittelmeer grenzende arabische Land.

Also was nun, liebe Medienmacher? Weiter machen mit dem Prinzip „Aus den Augen aus dem Sinn“ und sich nur auf das stürzen, was bessere Schlagzeilen und Bilder verspricht? Oder doch lieber sich vom Katastrophen-Journalismus lösen?

Zu guter Letzt: Noch immer strebe ich diesen Beruf an, den ich in diesem Beitrag kritisiere. Wer, wenn nicht Journalisten, hätte in den vergangenen Wochen unser Informationsbedürfnis sonst stillen sollen? Journalisten sind aber auch nur Menschen und lassen sich leicht von der Sensation verführen. Sich der Verführung einer sich überschlagenden Nachrichtenlage zu widersetzen, das ist die Kunst und die Herausforderung dieses Berufes.