„Aquila“. Was machst du, wenn deine Erinnerung dich täuscht? Verkatert von der letzten Partynacht wacht Nika auf. Um ihr Handgelenk hat die 19-Jährige ein Tuch geschlungen. Ihre Hose ist total verdreckt; die Hosenbeine sind mit Schlamm bespritzt. Als sie im Bad in den Spiegel schaut, bekommt die Studentin einen Schrecken. Dort hat jemand eine Nachricht hingeschmiert: letzte Chance. Auf dem Boden des Badezimmers liegt ein blutiges Männer-Shirt. Was hat das zu bedeuten?
Ein Einstieg, mit dem die Österreicherin Ursula Poznanski geschickt die erste Fährte für ihre Leser auslegt. Es ist der Anfang eines Romans, der mehr ist als bloß ein Kinderbuch. Der Thriller „Aquila“ spricht junge Erwachsene an – auch die, die längst erwachsen sind und mitten im Studium stecken. Doch Poznanski hat noch mehr zu bieten.
Blackout. Die Erinnerung ist ausgelöscht.
Nikas Handy ist weg. Ihre Mitbewohnerin auch. Die Wohnung ist verschlossen – und Nika kann ihren Schlüssel nicht finden. Als sie den Fernseher anschaltet, versteht sie die Welt nicht mehr. Eben noch dachte sie, es sei Sonntag – der Morgen nach der Party im italienischen Siena. Das Datum neben den Nachrichtensprechern zeigt jedoch: Es ist Dienstag. Nika fehlt die Erinnerung an zwei ganze Tage, in denen etwas Schreckliches passiert sein muss. Bloß was?
Poznanski schickt ihre Protagonistin, eine deutsche Austauschstudentin, auf eine Schnitzeljagd durch eine sagenumwobene Stadt. Der einzige Anhaltspunkt für Nika wird ein Werbeflyer für eine Pizzeria auf dessen Rückseite verschlüsselte Botschaften notiert sind – in ihrer Handschrift. Doch je mehr die 19-Jährige über das herausfindet, was während ihres Blackouts passiert ist, desto mehr muss sie sich der Frage stellen: Wem kann sie noch trauen? Wer ist Freund, wer Feind? Wer ist Helfer, wer Gegner?
„Aquila“ erinnert an Dan Browns „Inferno“
Verdutzt und baff bleiben die Leser am Ende zurück. Die österreichische Autorin schafft es wieder einmal, sie zu verblüffen. Poznanski konfrontiert sie in „Aquila“ mit einem Spannungsbogen, den auch die Thriller-Altmeister der Erwachsenenliteratur nicht besser hinbekommen hätten. Das Konzept erinnert an Dan Browns „Inferno“.
Nachdem Poznanski in „Elanus“ 2016 einen Thriller rund um eine männliche Hauptfigur erzählte, steht diesmal eine junge Frau im Zentrum. Doch „Aquila“ ist durchaus auch ein Pageturner für junge Männer. Dabei bleibt die Autorin ihrer Zielgruppe treu. Die Protagonisten wirken authentisch. Die Romanze im Roman ist modern und frisch angelegt. Das Wichtigste aber: Die Szenen des Verbrechens werden nicht ausgespart.
Poznanski traut ihren Lesern zu, mit Gewalt umzugehen. Sie zelebriert diese jedoch nicht drastisch schonungslos und brutal, wie dies in einem Thriller für Erwachsene üblich ist. Dennoch wäre eine Altersempfehlung ab 14 Jahren vielleicht doch um ein bis zwei Jahre zu niedrig angesetzt. Zumindest, was eine nicht ganz unwichtige Szene betrifft, die zum Wendepunkt des Romans wird. Ob bereits 14-Jährige zu dem Buch greifen sollten, hängt letztlich aber davon ab, ob „Aquila“ für sie der Einstieg ins Crime- und Thrill-Genre ist oder bereits eine Vorerfahrung mit der Thematik vorhanden ist.
„Aquila“ für die Ohren
Für Lesemuffel gibt es den lesenswerten Psychothriller der österreichischen Autorin auch als Hörbuch. Auf einer mp3-CD bietet der Hörverlag die vollständige Lesung des Romans an. Das Cover ziert dabei – wie auch das Buchcover des im Loewe Verlag erschienenen Romans – ein stilisierter Adler. Es wirkt eher wie das Cover eines Fantasy-Romans. Was es mit dem Adler auf sich hat, bringt im Hörbuch Laura Maire authentisch rüber.
Die 1979 geborene Schauspielerin und Sprecherin liest „Aquila“ von Ursula Poznanski nicht nur, sie spielt es. Die Grenzen zwischen bloßem Erzähler und der Hauptfigur des Romans verschwimmen für die Leser schnell. Ein Vorteil, da so die Thriller-Elemente verstärkt zur Geltung kommen. Mal verzweifelt, mal heiser, mal fast atemlos nimmt Maire die Hörer mit auf die Schnitzeljagd durch Siena. Sie macht nicht nur die Bedrohung greifbar, sondern auch diese sagenumwobene italienische Stadt lebendig.
Das Buch:
Ursula Poznanski: Aquila
Loewe Verlag, ISBN: 978-3-7855-8613-6
432 Seiten, Klappenbroschur mit ledergenarbter Oberfläche und Goldprägung
Erschienen am 14. August 2017
Das Hörbuch:
Ursula Poznanski: Aquila
der Hörverlag, ISBN: 978-3-8445-2705-6
ca. 11 h und 53 min, Vollständige Lesung, 1 mp3-CD