Darmstadt: Vor gut einem Jahr bin ich ausgestattet mit einem Tonaufnahmegerät losgezogen, um für das Lokaljournalismus-Blogprojekt „Strabada.de“ eine Straßenumfrage zu machen. Das Gerät hatte ich vorher zu Hause getestet. Speicher-Karte – ist drin, Akkus – sind geladen, Popschutz – habe ich dabei, Gerät – nimmt auf. Jetzt sollte es doch eigentlich nicht schwer sein, die Umfrage zu machen.
In Darmstadt angekommen – es war vormittags – wollte ich die Umfrage durchziehen. Ein letzter Blick auf den Zettel, auf dem ich die Frage notiert hatte, und los. Der Erste schüttelt den Kopf, die Nächste sieht das Aufnahmegerät und macht einen Bogen um mich, der Dritte nickt mir zu. Ich komme freundlich lächelnd auf ihn zu, sage in einem Halbsatz wer ich bin und schicke gleich die Frage hinterher, damit er nicht auf die Idee kommt: Das Blog kenne ich nicht, dann sage ich auch nichts.
Die Idee kam ihm nicht, doch leider machte eine bremsende Straßenbahn und eine Horde quicklebendiger Kinder die Aufnahme unbrauchbar. Für einen zweiten Versuch hatte mein Gegenüber aber keine Zeit. Also, weiter versuchen: Da stehen zwei Frauen mit Kinderwägen und warten auf den Bus. Ich prüfe die Anzeige mit den Abfahrtszeiten – erst in fünf Minuten kommt wieder eine Bahn – und spreche sie an. Nach den ersten Worten merke ich, dass wird auch nichts. Die beiden kommen aus Frankreich und können nicht genug Deutsch, um einen vernünftigen Vox-Pop zu bekommen.
Geschafft, aber unbrauchbar
Langsam verlässt mich so ein bisschen die Zuversicht. Die nächsten vier Versuche schlagen ebenfalls fehl: „Keine Zeit“, „Auf die Frage, was soll ich da antworten?“, „Wärst du jetzt vom hr, dann würde ich mit dir reden.“ Nach einer viertel Stunde habe ich noch keine brauchbare Aufnahme hinbekommen. Mache ich etwas falsch? Wen könnte ich denn jetzt als nächstes fragen, um nicht noch eine Abfuhr zu bekommen?
Ein neuer Versuch: zwei Studenten stehen gerade von einem der Tische auf dem Luisenplatz auf und schlendern in Richtung Mathildenplatz. Ich gehe auf sie zu, spreche sie an und habe Glück ich bekomme zwei Aussagen. Inhaltlich witzige Antworten auf die Frage: „Balkonien, oder Südsee – Wo verbring(s)t ihr (du) den Urlaub?“ – Ich weiß, das ist nicht die große journalistische Frage. Aber, es war kurz vor den Ferien.
Glücklich darüber, dass das geklappt hat, hole ich einen Kopfhörer hervor und höre mir die Aufnahme an. Statt den Antworten, hat das Gerät leider nur ein lautes Rauschen des Windes aufgenommen. Den Pop-Schutz hatte ich drauf und stark war der Wind eigentlich auch nicht gewesen. Ich machte eine Testaufnahme und stellte fest: Es liegt am Gerät, das zu empfindlich war. Damit erkläre ich mein Vorhaben für gescheitert. Es blieb bei zwei normalen Blogtexten, die ich zuvor für Strabada geschrieben hatte.
„Wie man auf Stimmenfang geht“
– Tipps hätten geholfen
Das war meine erste Erfahrung mit dem Medium Radio beziehungsweise Audio. Gut ein dreiviertel Jahr später entdeckte ich das Blog von Sandra Müller und darüber auch das Buch „Radio machen“.
Auf dieses „Feedback erwünscht“ komme ich gerne zurück. Denn das Buch überzeugte mich beim Lesen nicht nur durch die angenehme Sprache. Auch das Gefühl, dass da nicht jemand von oben herab für Anfänger schreibt, ist ein großer Pluspunkt. (Das Weblog allein beweist schon, dass der Autorin Sandra Müller der Radionachwuchs am Herzen liegt.) Hilfreich sind auch die „Merke“ – und „Tipps“ – Boxen, die das Buch für mich wertvoll machen. Denn hier ist kompakt und verständlich zu lesen, was ein Anfänger im Radio-Alltag wissen muss.
„Nicht zu lange nachdenken“
Bleiben wir bei meinem Misserfolg von „Balkonien, oder Südsee – Wo verbring(s)t ihr (du) den Urlaub?“. Ich hätte einiges besser machen können, das zeigen ausgewählte Tipps aus dem Buch „Radio machen“:
„Straßenumfragen nie mit Mikro ohne Windschutz machen“
Das es nicht ratsam ist, auf die im benutzten Aufnahmegerät (Zoom H4) eingebauten Mikrofone uneingeschränkt zu vertrauen, habe ich durch die Vox-Pop-Erfahrung gelernt. Ebenso, dass Pop-Schutz nicht gleich Windschutz ist. -> Daran habe ich mich im Februar 2012 bei den Tonaufnahmen zur Seelsorge-Soundslide glücklicherweise erinnert.
„Das Letzte, was ein Reporter macht, ehe er auf Stimmenfang geht, ist ein Geräte- und Mikrofon-Check.“
Ich habe den Check gemacht, aber eben nicht noch einmal vor Ort. Ein kurzer Test vor Ort inklusive Abhören der Aufnahme, hätte mich früher auf das Windproblem aufmerksam gemacht.
„Wo macht man Umfragen? Da, wo wir Menschenfinden, die unsere Frage beantworten können und Zeit dafür haben. Da, wo wir fragen dürfen. Und da, wo es keine Störgeräusche gibt“
Stichwort Straßenbahn und Bus – der Luisenplatz ist in Darmstadt ein Hauptverkehrsknotenpunkt beim öffentlichen Nahverkehr. Sicher, hier sind viele Leute unterwegs – aber die Fußgängerzone der Darmstädter Innenstadt ist größer und bietet Möglichkeiten abseits der Haltestellen.
Und dann gibt es da noch das Entscheidende: „So oder so empfiehlt sich: nicht zu lange nachdenken – ähnlich wie wenn man nach dem Weg oder der Uhrzeit fragt. Ein freundlicher Blick, ein kurzes Lächeln und wenn die Chemie stimmt, loslegen.“ Dass mit einem grimmig blickenden Menschen mit Mikrofon kaum einer sprechen wird, versteht sich von selbst. Doch rückblickend habe ich mir mindestens 20 Vox-Pop-Partner durch die Lappen gehen lassen, weil ich stets zu lange überlegt habe: Frage ich den jetzt?
Im Oktober werde ich „mal ’ne Meldung draus machen“
Bisher hatte ich keine Gelegenheit noch einmal mit dem Mikrofon loszuziehen und eine Straßenumfrage zu machen. Doch mit den Tipps gewappnet, bin ich bereit einen neuen Versuch zu starten. Vielleicht ergibt sich ja bald eine Gelegenheit dazu. Lust auf mehr Radio-Erfahrungen habe ich. Darin hat mich auch das Radioseminar bei Dirk Emig von hr info, wie auch das dlf50.org Projekt in Kooperation mit dem Deutschlandfunk bestätigt.
Doch zuvor werden mich die Tipps aus dem Kapitel „Mach da mal ’ne Meldung draus!“ begleiten. Nach meiner aktuellen Hospitation beim ZDF in der Redaktion heute.de, darf ich die Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks aus der Sicht eines Praktikanten kennen lernen. Einen Tipp von Sandra Müller aus diesem Kapitel beherzige ich schon seit geraumer Zeit immer wieder:
„Am besten vor dem ersten Arbeitstag aufmerksam den Sender hören, bei dem man arbeiten wird, und auf Besonderheiten achten.“
Ich freue mich auf die acht Wochen in der Kölner Redaktion. Das Buch von Sandra Müller wir mich wohl in diesen Wochen begleiten. Ich kann es für Radio-Anfänger nur empfehlen, da das Buch angefangen vom Nachrichtenschreiben, über den gebauten Beitrag, bis hin zu Moderationstipps für ganze Sendungen eine Reihe guter Ratschläge bietet. Radio-Anfänger brauchen damit keine Angst haben, sich eine blutige Nase in der Praxis zu holen. Sicher, Selbstbewusstsein und den Mut zum Sprechen braucht der Anfänger dafür natürlich auch.
Eine ungewöhnliche Buchkritik, für ein aus meiner Sicht gutes Lehr-/Sachbuch in Taschenbuchform. Das Fazit gabs für @radiomachen / Sandra Müller die Tage schon über Twitter.
Der Sekt sollte allerdings bei diesen Temperaturen sehr kalt gestellt sein ;).
Das Buch:
SANDRA MÜLLER: Radio machen
UVK Verlag, ISBN: 978-3-86764-307-8